> Aus einer Briefstudie von P. Kentenich 1956

Aus einer Briefstudie von P. Kentenich 1956

Aus dieser Briefstudie von 1956 folgende einschlägige Abschnitte: Es folgt zunächst aus der Briefstudie Pater Kentenichs an P. Möhler aus dem Jahre 1956 (dort S. 201-215) eine Hinführung zum Vortrag vom 18.10.1929; danach erst folgen kleine Abschnitte aus dem Vortrag selbst.

Zur allgemeinen Kennzeichnung sei vorausgeschickt, welche Bedeutung besagtes Jahr für die Familie bekommen hat ...

Das wichtigste Ereignis besagten Jahres ist das verwegene Wort vom ‚Schatten des Heiligtums’ ...

Ich weiß, wie stark es damals die Geister in Bewegung und Erregung brachte, als es in breitere Öffentlichkeit drang. Weihbischof Fischer von Rottenburg, ein guter Freund der Bewegung, ließ mir vertraulich sagen: so sehr er mich sonst schätze und meine Auffassungen ernstnähme, das Wort vom Schatten des Heiligtums scheine ihm doch zu verwegen und gewagt und unberechtigt zu sein.

Umso zuversichtlicher hielt ich bei klarer Zusammenschau großer, letzter Zusammenhänge daran fest und behandelte es in der Folge wie ein Dreikönigsgestirn, das allezeit wegweisend am Himmel der Familiengeschichte aufstrahlte. Nicht umsonst nimmt es einen Ehrenplatz in der zweiten Gründungsurkunde (vom 18.10.1939) ein. Nicht umsonst blitzte es an allen bedeutungsvollen Scheidewegen der Familie in Geist und Literatur und Leben richtunggebend auf. Auch heute wiederhole ich es mit derselben schlichten, unbeirrbaren Gläubigkeit wie in den „fruchtbaren“ Jahren.

So spreche ich denn mit großer Besinnlichkeit:

Im Schatten des Heiligtums werden die Geschicke der Kirche auf Jahrhunderte wesentlich mitentschieden.

Man beachte, welche Bedeutung hier dem Heiligtum – der eigengesetzlich zentralen Lebensachse Schönstatts – beigemessen wird ...

Erstmalig fiel das verwegene Wort – in der Familiengeschichte hat es gleichsam ‚prophetischen’ Charakter – 1929 auf einer Gymnasiastentagung. (Davor hatte Pater Kentenich diese Formulierung schon geprägt intern im Kreise der Marienschwestern am 2. Februar 1929; bei der Gymnasiastentagung sprach er das Wort am 7. April desselben Jahres zum ersten Mal in einer gewissen Öffentlichkeit aus.) P. Menningen hielt sie. Wenn ich mich recht erinnere, ist es die fruchtbarste geworden, die er persönlich geleitet hat.

Der hier gemeinte Oktobervortrag knüpft daran an und versucht, Wege zu seiner Verwirklichung zu weisen.

Vorausgegangen war – am 15. August 1928 – die Einweihung des Bundesheimes mit der anschließenden ersten Vermählung zwischen Gesellschaft und Bewegung ...

Um den nachfolgenden Oktobervortrag (vom 18.10.1929) besser zu verstehen, sind außerdem zwei Momente zu beachten. Wie aus dem Text ersichtlich ist, wurde er vor Marienschwestern gehalten. Sie hatten im Oktober 1926 das Licht der Welt erblickt. 1929 befanden sie sich also noch im ersten Stadium ihrer jungen Existenz. Auf die Immakulatakinder waren die Virgo-Sacerdos und die Virgo-Mater-Kinder gefolgt. Alle drei Kurse wurden der Familie in ursprünglicher Frische geschenkt.

Der 18. Oktober 1929 brach an. Plötzlich fällt es der Kursmutter der Virgo-Mater-Kinder ein, mich durch ‚Himmelspost’ aus dem Bundesheim ins Tal – in unser Heiligtum – zu bitten und um einen Vortrag – gleichsam um eine Art Gründungsurkunde für die Marienschwestern – zu ersuchen. Ohne lange Überlegung gehe ich auf den Wunsch ein und begebe mich nach unten.

Der Vortrag trägt – wie sofort ersichtlich – trotz seines tiefen Inhaltes und seiner universellen Gesamtschau stilistisch alle Spuren einer unvorbereiteten, aus dem Ärmel herausgeschüttelten Plauderei an der Stirne. Umso eindeutiger und überwältigender entschleiert er die Ideen, die mich damals, die mich immer bewegten und ganz spontan zu einem sinngerechten Ausdruck drängten. Ich gebe ihn ungekürzt wieder.

Der Vortrag hat folgenden Wortlaut:

(Hier folgt nur ein ganz kleiner Ausschnitt.)

„[...] Ob die liebe Gottesmutter wohl auch bereit ist, den Schleier von diesen kommenden 15 Jahren ein wenig wegzuziehen? Das würde uns alle interessieren. Es würde uns auch alle erwärmen, um die Hauptabsicht der lieben Gottesmutter zu erreichen, wieder mehr Begeisterung fürs Gnadenkapital unter uns zu wecken.

Ja, was dürfen wir denn in den nächsten 15 Jahren vermutlich erwarten?

Sehen Sie: was ich bei Gelegenheit der Gymnasiastenweihe vor einigen Monaten zum ersten Male öffentlich gesagt, das mag vielleicht in den nächsten 15 Jahren der Erfüllung näher gebracht werden.

Damals sagte ich:

“Im Schatten unseres kleinen Heiligtums werden die Schicksale der Kirche nicht nur in Deutschland, sondern weit über Deutschland hinaus, in den nächsten Jahrhunderten (wesentlich mit)entschieden.“

Wenn nun der heutige Tag einen tiefen Einschnitt bedeuten soll in der Entwicklung unserer Familie, wenn die liebe Gottesmutter uns heute erneut und vertieft ihren Segen verspricht, ob dann die Segenswellen und Segenswogen nicht nach dieser Richtung hinweisen, nicht nach dieser Richtung hinfließen sollen und müssen?

Es ist sonst unsere Art, die Zukunft aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart herauszulesen. Und was augenblicklich in unserer Familie am Werden ist, das sind tiefgreifende Strömungen, die machtvoll darauf hinarbeiten, das Leben weiter und weiterer Kreise zu erfassen ...